03 Dezember 2006

Durch das Dickicht der Konventionen

So wie Schönheit allein im Auge des Betrachters liegt, so existieren Konventionen oft nur in den Köpfen der Betroffenen. Und setzen sich dort mitunter am hartnäckigsten fest. Franz und Philipp Reider geht es so, Vater und Sohn, die soeben Ehefrau respektive Mutter verloren haben. Doch abgesehen vom gemeinsamen Verlust stehen die beiden einander fremd und distanziert gegenüber. Dass sie in gleicher Weise neue Lebensentwürfe erproben, ist lediglich eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen, bewirkt jedoch keine tiefere Verbindung. Franz auf der einen Seite stellt sich dem Wagnis einer neuen Liebe zu einer um vieles jüngeren Frau und versucht, von Zweifel, Schuld und Liebesbedürfnis begleitet, einen gangbaren Weg in die Zukunft zu finden. Philipp wiederum bricht aus seiner Partnerschaft mit Luca aus, um ein scheinbar unverbindliches, von Macht, Lust und Leidenschaft bestimmtes Verhältnis mit einem anderen Mann einzugehen. Dabei sieht er sich zunehmend mit den Dämonen der Vergangenheit und der Fragwürdigkeit eigener Überzeugungen konfrontiert. Was Vater und Sohn dann letztlich doch verbindet, ist das Störgeräusch, das ihrer beider Leben symbolisch durchdringt und in Franz' Herzproblemen nur seinen augenfälligsten Ausdruck findet.

Mit "Störgeräusch" hat Martin Pichler einen sehr vielschichtigen Roman geschaffen, der zugleich grenzüberschreitend wirkt. Denn Grenzen des Alters, der Sprache und der Generationen werden genauso überschritten wie die gesellschaftlicher Erwartungshaltungen. Daraus schöpft das Buch sein anrührendes Potential und seine Kraft.

*bn* Eva Unterhuber