28 Juli 2007

Leise und mit Trauer gespickt

Die Gesellschaft ohne störende Einschlüsse wäre immer schön, immer jung, immer glücklich. Gesellt sich aber ein Störgeräusch hinzu, dann sind Lebensläufe nicht immer schön, nicht immer jung und nicht immer glücklich. So wie das auch bei der zweiten Veröffentlichung von Martin Pichler "Störgeräusch" der Fall ist.

Eine Familie namens Reider steht unter der Beobachtung des Erzählers, die Mutter stirbt, der Vater und der Sohn machen nun anderes und haben mitunter Sex mit Männern im Auto oder verlieben sich in wesentlich jüngere Frauen: wobei diese beiden Punkte bereits die reißerisch herausgeklaubten Splitter in einem Buch sind, das zu wesentlicheren Teilen leise und mit Trauer gespickt ist. Ein wenig Abschied also. "Störgeräusch" besteht fast lückenlos aus schönen Sätzen, so engmaschig gesetzt und wohldurchdacht, dass bei soviel Wortmalerei der Lesefluss manchmal darunter leidet. Ist aber egal, denn schwierige Bücher sind immer noch die besseren.

Barbara Zeman

09 April 2007

Familie am Wendepunkt

Störgeräusch
Martin Pichlers dritter Roman über eine (fast) normale Familie am Wendepunkt stellt nach dem Tod der allgegenwärtigen Mutter Normalität in Frage

Die Geschichte von Philipp, dem schwulen Sohn von Franz und Margareth, wird mit rasantem Blickwechsel erzählt. Störgeräusche unterbrechen konstant den Fluss der Erzählung ebenso wie das Leben der Figuren: Ein Handy kontrolliert den Vater zu Lebzeiten der Mutter, deren Stimme nach ihrem Tod Vater und Sohn nicht los lässt. Eine schwere Herzkrankheit bedroht das Leben des Vaters. Normalität ist oft Tabu brechender als das Außergewöhnliche, so der Südtiroler Autor, der seinen Text im Grenzland ansiedelt: Sein Südtirol ist Nahtstelle von Kulturen, Volksgruppen, Sprachen und sexuellen Identitäten. Italienische Sequenzen beleben den Roman in einem homogenen Nebeneinander. Für Philipp ist die für ihn fremde Sprache seines Freundes Luca Befreiung und Code, mit dem er neue Spielgefährten kontaktiert und erreicht. Dass allen, den LeserInnen, dem Autor wie den fiktive Gestalten, der Verlust von Sicherheiten droht, kann auch als Aufbruch verstanden werden.

Bereits in „Lunaspina“ schildert Pichler das Sterben der Mutter als Selbstfindung des homosexuellen Sohnes im Familien und Freundeskreis. Mit „Störgeräusch“ durchbricht er die Sprachlosigkeit erneut und setzt Sprache ein, um Gefühle und Beziehungen klarzustellen. In wechselnde Perspektiven und schnellen Schwenks entfalten sich in parallel geführten Erzählsträngen Lebensentwürfe, Haltungen und Emotionen, zwischen denen es vorerst kaum Berührungspunkte gibt. Vater wie Sohn überschreiten erst nach dem Tod der Mutter ihre Kommunikations- und Beziehungslosigkeit: Franz öffnet sich einer sexuellen Leidenschaft zu der viel jüngeren Maria. Philipp bricht aus einer mehr oder weniger monogamen Zweisamkeit mit Luca aus, um Körper und Lust neu zu entdecken. Nun entsteht zwischen Vater und Lebensgefährten des Sohnes Nähe. Die Homosexualität des Sohnes ist für ihn jetzt selbstverständlich. Philipp sucht im Chatroom Partner, mit denen er seine bisherigen sexuellen Praktiken erweitert. Gerade in einer bedingungslosen Hingabe und Unterwerfung erfährt er Grenzen von Sex, Leidenschaft und Eros.

Zentrale Motive sind Sehnsucht nach Verbindung und Vernetzung in einer Welt, die von Störgeräuschen dominiert wird. Dieser Dschungel von Telefon, Handy, Internet erzwingt genaues Hinhören. Pichlers Roman wird zu Recht mit David Leavitts „The Lost Language of Cranes“ (Verlorene Sprache der Kräne) verglichen. Er verlangt von seinen Leserinnen höchste Konzentration und die Bereitschaft, eigene Grenzen zu überschreiten.

Peter Jobst (Pride, April 07)

03 April 2007

Buchvorstellung einmal anders





Buchvorstellung einmal ganz anders!

Am Donnerstag, den 29. März 2007 fand in der neuen Mediothek der Handelsoberschule eine außergewöhnliche Autorenlesung statt. Der Bozner Autor Martin Pichler stellte sein neuestes Werk „Störgeräusche" vor.
Die eingeladenen Klassen, die auf einen traditionellen Ablauf gefasst waren (dem lesenden Autor nur zuzuhören) wurden positiv überrascht. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand nicht das Buch selbst, sondern die Schüler/innen mit ihren Fragen und ihrer Neugier.

Um jenen, die noch kein Buch von ihm gelesen haben, einen Eindruck von seiner Schreibweise zu geben, las er eine seiner noch unveröffentlichten Erzählungen vor. Anschließend stand er den Schülern für Fragen zur Verfügung, welche ihn sofort mit persönlichen Fragen bombardierten. Pichler, der seine Homosexualität in seinen Werken geoutet hat, antwortete darauf mit überraschender Offenheit und mit Humor. Er erzählte über die Schwierigkeiten als Autor, dass er z.B. nicht vom Schreiben alleine leben könne, er erzählte auch private Anekdoten und musste nie um die Aufmerksamkeit der Zuhörer/innen bitten.

Sofia Schuen und Elisabeth Valentin 5B


13 Januar 2007

Rezension "Störgeräusch"

Man kann Martin Pichlers Roman gern zweimal lesen. Er hält es aus. "Störgeräusch" zeichnet sich aus durch seine kompositorische Dichte und ein feines Netz sprachlicher Bezüge. Thematisch schließt das Werk deutlich an seine beiden vorausgehenden Bücher an, wobei der Autor nun formell wieder auf die Schreibstrategie zurückgreift, die er in seinem ersten Buch, "Lunaspina", ausgelegt hatte und die eine erstaunliche Fähigkeit erkennen lässt, sich akribisch in die Sicht- und Wahrnehmungsweisen seiner Figuren einzuwühlen. Pichlers zweites Romanwerk, "Nachtreise", stellt bekanntlich eine sehr direkte literarische Protokollierung und Verarbeitung des Todes seiner Mutter bzw. des "Muttersterbens" dar. Mögen die Figuren in "Störgeräusch" auch eine bekannte thematische Landschaft evozieren, es handelt sich bei diesem Buch nicht um einen "Fortsetzungsroman", der Grad der Fiktionalisierung hat zugenommen, das Autobiographische spielt, literarisch gesehen, kaum noch eine Rolle.
Die drei Kapitel des Romans setzen sich aus geschickt montierten Perspektivwechseln innerhalb einer sorgfältig angelegten Figurenkonstellation zusammen: Erinnerungen, Déjà-vus, Rückblicke, die immer wieder unterbrochen, gestört oder an einem anderen Punkt fortgeführt werden. Die Lebensentwürfe der beiden Protagonisten, Vater und Sohn, werden parallel geführt, so fallen Licht und Schatten auf den jeweils anderen, bevor sie gegen Ende des Romans einander gegenübertreten.
Als unaufdringliches Leitmotiv des Buchs verrät das wiederkehrende "Dreh dich um, dreh dich um!" ein Verfahren, das die formale mit der inhaltlichen Ebene verbindet sowie anhand der Schreib- eine Lesestrategie mitliefert. Die kühne Verknüpfung, die der Autor hier zwischen dem Hohelied Salomos ("Dreh dich um, dreh dich um, Sulamith! Dreh dich um, dreh dich um, dass wir dich anschauen!") und Aufforderungen, (homo-)sexuellen Wünschen bzw. Fantasien im Liebesspiel ("Dreh dich um!") herstellt, spricht die zentralen Themen Liebe und (schwule) Erotik im Roman an. Überlagert sind diese Konnotationen von Aufforderungen, genau hinzuschauen und zu erkennen, was vor sich geht. Es ist die Geste des Innehaltens, das Tempo, das sich in den filmischen Stilmitteln der Flashbacks widerspiegelt, sowie die Einsicht, die sich einer der Hauptfiguren des Romans zur eigenen Überraschung aufdrängt, dass "alles im Rückblick Sinn (erhält)", nämlich das, was man zuvor bereits weiß, sich aber dennoch nicht vorzustellen vermag.
Angeregt wird dieses Innehalten und Hinhören vordergründig durch eine Reihe von Störelementen und Störgeräuschen - scheinbar zufällig auftretende kleine ärgerliche Irritationen des Alltags, die da irgendwo aus dem Äther kommen, schließlich jedoch die Figuren an einem richtigen Nerv treffen, sie hellhörig machen und hinhören lassen. Neben dem "Sirren" und "verräterischen Raunen" der gängigen Kommunikationsmittel (Telefon, Internet) ist es die Stimme der toten Mutter bzw. Frau, Margareth, die hier dazwischenfunkt. Damit wird zugleich vektorial jener Ort angedeutet, der das "gespenstische" Rauschen und Raunen vom Hintergrund her gleichsam bündelt: Der Tod der Mutter (bzw. Frau), die letzte Phase ihrer zehrenden Krankheit eingeschlossen. Er stellt jene Zäsur dar, die eine "alte Zeitordnung" zum Abschluss bringt und den Beginn neuer Verhältnisse markiert. Während die alten familiären Beziehungen gleichsam auseinander treiben, den Grund für einen Zusammenhalt verloren haben, versuchen Vater und Sohn, mit dem Verlust umzugehen, gehen jeweils neue Liaisonen ein. Dabei sehen beide sich auf je unterschiedliche Art und Weise in Verrat verstrickt.
So findet Franz sich unversehens in ein "Doppelleben" geraten, hin- und hergerissen zwischen der um Jahre jüngeren Maria und Margareth, die sich durch ihre Stimme (noch immer) an ihn wendet: "Dreh dich um, dreh dich um!, erinnere dich an meinen Atem [...]. Erinnere dich an die Dinge, die ich nicht weiß, weil ich abgewandt war von mir selbst, halte sie fest für mich." Am Rande scheint an dieser Stelle angedeutet, was über die Figurenperspektive hinaus noch eine Intention des Autors, des Schreibens, zum Ausdruck bringt: die "Verantwortung den Toten gegenüber". Die Figuren des Romans treibt dieses Vermächtnis in ein Dilemma, das da ungleich radikal formuliert wird: "Unweigerlich erweist sich jede Sehnsucht, einmal in Worte gefasst, als Verrat".
Philipp, der seine Affäre mit Diego seinem Freund Luca verheimlicht, erscheint vordergründig gelassener als sein Vater. Sein Flirten in Chatrooms unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Identitäten sieht er als Ablenkung, als Spiel oder als Zugeständnis an die Kehrreime der Songs aus dem Autoradio: "Nessuno è mai solo se stesso" (Niemand ist niemals nur er selbst). Doch auch sein "Doppelspiel" geht zurück auf die Zeit, als seine Mutter im Sterben liegt. Indem Philipp sich einklinkt in das virtuelle Universum des Chatrooms, klinkt er sich zugleich aus von der realen Welt des Schmerzes und der Gewissheit des Verlusts. Ein Verlust, der offenbar von erschütterndem Ausmaß ist, wie er es später ausdrücken wird: "Ohne Mutter ist er nämlich verloren. Es gibt für ihn kein Leben ohne sie. Ganze Regionen seines früheren Lebens sind zusammengebrochen [...]." Philipps Mutter war es - anders als sein Vater , die nach seinem Outing ihn und sein Anderssein bedingungslos anerkannte, genauso wie sie Luca sofort in ihr Herz schloss. Er war, so Philipp, Mutters "Adoption". Es ist, als ob der Verlust der Mutter zugleich Luca mit beschädigte. Statt in diesem das Leben und die Liebe zu erkennen, ertappt sich Philipp, wie er von Luca wie von Mutter spricht, "als spräche er von zwei Toten, deren Erinnerung ein lästiger Nachspuk ist." "Vielleicht wäre es in der Tat tröstlich, sich in wolkiger Trauer aller Gefühle für Luca zu entledigen."
Wie tiefgreifend und nachhaltig der Verlust der Mutter auch in Philipps Gefüge der Sicherheit eingegriffen hatte, als ob er den Verlust der Selbstverständlichkeit seines Andersseins darstellen würde, wird noch auf einer anderen Ebene angesprochen. In den Alpträumen erscheint seine einmal errungene Emanzipation gegenüber dem Vater aufgehoben, in Frage gestellt. Tatsächlich ist daran jedoch auch eine Angst sichtbar, die Vater und Sohn ohne ihr Wissen miteinander verbindet: die Angst vor der Veränderung. Franz gelingt es schrittweise, diese Angst zu überwinden, sich der neuen Liebe und einem unkonventionellen Lebensmodell zu öffnen, das er vor kurzem seinem Sohn nur schwerlich zugestehen wollte. Die Veränderungen, die Franz allmählich in seinem Leben zulässt, stellen schließlich eine Analogie zu Philipps schwuler Identitätsfindung dar.
Philipp dagegen flüchtet sich in die Figur des Jeeg Robot.

Martin Reiterer www.literaturhaus.at

04 Januar 2007

Vater und Sohn

Martin Pichlers atmosphärisch dichter, wieder in Südtirol spielender Roman Störgeräusch, der vertraute Motive aus Lunaspina und Nachtreise aufnimmt, ist wesentlich auch ein Roman über das Hören und die Sprache hinsichtlich ihrer technischen Vermittelbarkeit. So wird in diesem Roman auch mehr telefoniert und gechattet als direkt miteinander gesprochen.

Martin Pichler entwirft diese Vater-Sohn-Geschichte in parallelen Schnitten, zeigt präzise und niemals wertend, wie sich Franz und Philipp in den Monaten nach der erschütternden Erfahrung des Verlustes neu positionieren müssen. Doch die gewohnte Ordnung ist unwiederbringlich vorbei und schließlich durchbrechen die beiden Konventionen, deren Verbindlichkeit mit dem Tod der Mutter geendet hat.

Im Grunde sind dies, außer für die Beteiligten, wenig außergewöhnliche Dinge, die hier verhandelt werden: Familienkonstrukte, Lebensentwürfe – und der Zufall, der alles über den Haufen wirft. Doch die unbestrittene Meisterschaft des Autors zeigt sich gerade in seinem analytischen Blick auf das Alltägliche und seiner klaren Sprache, mit der er seine durchschnittlichen Figuren in allen Facetten ihrer körperlichen Erfahrung, existenziellen Begrenzung und sprachlosen Isoliertheit zeigt – Nicht immer bequem für den Leser, aber gerade deswegen unbedingt lesenswert.

Markus Hildenbrand in: Die Furche, 14. Dezember 2006

03 Januar 2007

Am liebsten gelesen 2006


Meg Rosoff "So lebe ich jetzt"
Tobias Wolff "This Boy's Life"
Vladimir Nabokow "Lolita"
John Updike "Landleben"
Paula Fox "Der kälteste Winter"
Maeve Brennan "Mr. und Mrs. Derdon"
Philippe Grimbert "Ein Geheimnis"
Jan Guillon "Das Böse"
Richard Yates "Elf Arten der Einsamkeit"
Alice Munros "Tricks"
Truman Capote "Kaltblütig"
Alexander Stille "Citizen Berlusconi"
James Howe "Joe e basta"
William J. Mann "Von Männern und Jungs"
Lev Raphael "Winter Eyes"
Philip Roth "Jedermann"
Do van Ranst "Wir retten Leben, sagt mein Vater"
Bart Moeyaert "Brüder"
Jutta Richter "Hechtsommer"
Paul Ingendaay "Warum du mich verlassen hast"
Augusten Burroughs "Werbepause"
Richard Powers "Das Echo der Erinnerung"

15 Dezember 2006

Unter einem Dach

Die Mutter ist an Krebs gestorben. Philipp lebt in der ausgebauten unteren Wohnung, sein Vater versucht fortan oben allein zurechtzukommen. Da tritt Maria, eine alte Liebe, wieder in das Leben des Witwers, und bald sind die beiden ein Paar. Auch Philipp strebt nach Veränderung, sucht im Chat den sexuellen Kick und findet diesen wenig später leibhaftig.

Betrug an den Toten, an den Lebenden - Betrug allenthalben? Martin Pichler verhandelt im Roman "Störgeräusch" die Lust, die Liebe und also das Leben, wie es auch nach einem tragischen Verlust weitergehen kann beziehungsweise muss.
Der junge Südtiroler knüpft damit nahtlos an seinen gefeierten Vorgänger "Nachtreise" (2005) an, liefert aber nicht nur eine Fortsetzung, sondern zugleich einen weiteren eigenständigen wie auch intensiven Roman.

MZ, Markus Bundi