18 August 2006

Autobiographie kann jeder

Die Geschichten meines Sohnes beginnen alle gleich, sagt mein Vater und seufzt über sein schweres Amt, stets als Ideen- und Sprachlieferant herhalten zu müssen.
Mein Vater hält sich für den besseren Schriftsteller, den nur irgendwelche Dringlichkeiten stets vom Schreiben abgehalten haben. Er ist besser gerüstet für dieses Metier, vor allem meint er damit, dass er über eine publikumswirksamere Themenvielfalt verfügt. Sollte der Vater einmal tatsächlich zur Feder greifen, dann kann der Sohn einpacken mit seiner blassen Literatur, dessen ist er gewiss.
Zwischendurch begegnet mein Vater bei seinen morgendlichen Einkaufsrunden einer meiner Leserinnen. Sofort tritt er die Flucht nach vorne an: Er habe nichts unversucht gelassen, um dem Sohn die pornografischen Flausen auszutreiben. Auf sein Konto gehe diese niedere Poetik nicht! Er werde, schwört er vor dieser Zeugin wider Willen, zu drastischen Mitteln greifen und den literarischen Spielereien die finanzielle Grundlage entziehen. Das sei nämlich überhaupt das Unverschämte an der ganzen Sache, dass der Finanzstrom immer noch von ihm zu den Söhnen fließe und nicht in die Gegenrichtung. Dabei hatte er doch gehofft, dass sich diese langjährige, kostspielige Investition in den Nachwuchs einmal lohnen könnte.
Mein Vater sieht sich als wachsamer Hüter der Tabus. Genau so stellte er sich als der autoritäre Pädagoge dar, dem nur meine Mutter mit ihrer Weichherzigkeit einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Vaters unerbittlicher Erziehungsstock ist ein erfundenes Requisit. So wie er in flinken Umrissen eine Vaterfigur entwirft, die er in Wahrheit nie verkörpert hat. Seine Zuhörerin schwankt zwischen Belustigung und Bestürzung, sie weiß nicht, soll sie ihn beim Wort nehmen oder nicht. Vater flunkert, springt mühelos von Mimesis zu Poesis. Dem Sohn hingegen traut er dieses Kunststück nicht zu. Bei deinen Büchern erkennt man auf den ersten Blick den ganzen Schwindel: Das ist alles autobiografisch, urteilt er und meint damit: Autobiografie ist keine Kunst, Autobiographie kann schließlich jeder.