26 November 2006

Ins Ungewisse


Ins Ungewisse
Von Alfred Warnes

Diese Geschichte von den Reiders, von Vater Franz und Sohn Philip, setzt ein mit Handy und Chat, Mausklick und Nickname, Server und hot mail, mit Störgeräuschen, die sowohl Kenner wie Nichtkenner in Verwirrung versetzen.
Sollte man nach den ersten 15 bis 20 Seiten eine Demonstrationsstory für neue, mittlerweile in den Alltag integrierte Informationstechniken erwarten, so wird man auf den folgenden rund 200 Seiten eines Anderen belehrt. Der Tod der Mutter Margareth bedeutet die Zäsur, die das, was sich schon früher abgezeichnet hat, zur Weiterentwicklung bringt. Es sind die Liebesgeschichten von zwei ungleichen Männern: die von einem 60-jährigen Witwer zu einer um über 20 Jahre jüngeren Frau, geschieden, Mutter von zwei Kindern; und die von einem 25-Jährigen, der schon vor längerer Zeit den Umbau seiner Wohnung in eine solche mit Kinderzimmer und Wickelplatz für fragwürdig und sinnlos hielt, zu einem anderen Mann.
In filmischen Schnitten, mit Einschüben und Rückblenden, erzählt der Südtiroler Martin Pichler gekonnt von Aufbrüchen ins Unerwartete und Ungewisse. Das Lineare und Lapidare seines letzten Buches ("Nachtreise", 2005) ist hier außer Kraft gesetzt durch die größere Dichte an Personal und Erzählräumen, durch Tochter beziehungsweise Schwester mit Familie, durch beste Freundinnen und schrullige Onkel, durch ein Eintauchen in die Schwulenszene. Logische Rechnungen, fixe Vorstellungen und familiäre Gewissheiten werden aufgehoben.
Das Ausbleiben des Rauschens in den Wasserrohren zur gewohnten Stunde, die ausgesperrte Katze, das Fehlen von Vaters Auto in der Garage, die auch spät am Abend hinter den Fenstern dunkel bleibenden Zimmer stehen für radikale Änderungsprozesse.
Rollenmodelle und Konventionen werden in diesem Roman als etwas nicht Festgefügtes und unabänderlich Gültiges dargestellt und erlebt. Immer wieder taucht und lauert die Zukunftsfrage auf: Wie geht es weiter?

Wienerzeitung, am 24. November 2006

12 November 2006

Lesung Inzing/Tirol

11 November 2006

Buchpräsentation "Störgeräusch"




07 November 2006

Hochgradiger Sensualist. Zum Roman "Störgeräusch"


Kommunikationsprobleme: "Störgeräusch" von Martin Pichler
Neuer Roman des Südtiroler Autors - Vater-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt eines Sezierens komplizierter Seelen

(Von Werner Thuswaldner/APA)

Das Angebot an Kommunikationsmöglichkeiten hat in jüngerer Zeit beträchtlich zugenommen. Die Schwierigkeiten miteinander zu kommunizieren scheinen, speziell wenn es um eine komplizierte Gefühlslage geht, dadurch um nichts geringer geworden zu sein. Der Südtiroler Autor Martin Pichler (Jahrgang 1970) spürt in seinem neuen Roman "Störgeräusch" vertrackten Beziehungen nach, die nicht bloß deshalb mühsam sind, weil während diverser Telefonate störende Geräusche die Verständigung behindern. Pichler erweist sich dabei als ein hochgradiger Sensualist. Sein ein wenig altväterischer Stil mag in merkwürdigem Gegensatz zur modernen Telekommunikationstechnik stehen, die von den Protagonisten genützt wird - Vergangenheit und Gegenwart scheinen aufeinander zu prallen. Wichtiger ist: Pichler ist ein Unerbittlicher, ein Grübelnder, der mit größtmöglicher Genauigkeit durchleuchtet, was sich in den Köpfen der Beteiligten abspielt, was sie sich an Gefühlen für ihr Gegenüber eingestehen und was nicht. Die Beziehungen haben auch eine körperliche Seite, und auch die wird vom Autor minutiös und mit größtmöglicher Offenheit dargestellt. Die Menschen, um die es geht und die ganz und gar von ihrer Sexualität und ihrer Gefühlswelt bestimmt werden, sind ganz biedere Leute. Eine äußerlich recht unscheinbare Familie steht im Mittelpunkt. Aber das Verhältnis der Mitglieder untereinander ist mindestens so schwer angeschlagen wie in einem Ibsen-Drama. Der Vater ist Gärtner, der Sohn bei der Volksbank angestellt. Die Spannung zwischen den beiden ist das Hauptmotiv des Romans. Sie hat nicht bloß mit der Tatsache zu tun, dass der Sohn homosexuell ist. Jeder ist für sich genug damit beschäftigt, dem Lebensglück hinterherzujagen. Der Vater hat nach dem Tod seiner Frau eine um vieles jüngere Freundin mit zwei Kindern und ist der neuen Situation vor lauter Skrupel nicht gewachsen. Der Sohn treibt sich in Chatrooms herum, sondiert das Gay-Angebot im Internet und betrügt seinen ständigen Freund. Adressaten für diesen Roman sind gewiss nicht Voyeure, wohl aber Leser, die sich für das Sezieren komplizierter Seelen interessieren.